Wanderungsstudie

Comeback ländlicher Räume? Wie sich das Wanderungsgeschehen in Nordrhein-Westfalen verändert

Nach einer Phase, in der Städte am stärksten von Bevölkerungszuwachs profitiert haben, zeichnet sich spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie für ländliche Räume ein Comeback als Wohnort ab. Dafür spielt neben veränderten Wohnbedürfnissen und angespannten Wohnungsmärkten vor allem auch das Homeoffice eine Rolle.    

 

Inhalt

Die Raumentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte ist facettenreich. Mitte der 2000er Jahre konnte eine Phase der Reurbanisierung beobachtet werden: Städte gewannen an Bedeutung, was sich in Bevölkerungswachstum und Wanderungsgewinnen zeigte. Schon länger wird darüber spekuliert, inwieweit diese Entwicklungsphase noch trägt. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und damit verbundenen Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt vieler Menschen wird ein neuer Trend zum Leben auf dem Land diskutiert.

Mit unserer Studie „Comeback ländlicher Räume? Wanderungsbewegungen in Nordrhein-Westfalen“ möchten wir diese Diskussionen am Beispiel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen auf eine empirische Basis stellen. Neben einer Analyse von Wanderungsdaten aus NRW wurden zwei sehr ländliche Regionen – der Hochsauerlandkreis und der Kreis Euskirchen – vertiefend betrachtet. Interviews mit Wohnungsmarktakteur:innen und kommunal Verantwortlichen sowie eine Online-Umfrage unter wissenschaftlichen Expert:innen ergänzen die Datenanalysen.  

Positive Wanderungsbilanzen für viele ländliche Räume

Im Zeitraum 2009 bis 2011 wiesen die eher ländlichen (–155 je 100.000 Einwohner:innen) und sehr ländlichen Räume (–143 je 100.000 Einwohner:innen) jährlich noch ein Minus bei den Wanderungssalden innerhalb von NRW auf. Bereits in den Jahren 2017 bis 2019 zeigte sich eine andere Reihenfolge: Die günstigste Bilanz hatten die eher ländlichen Räume (+162 je 100.000 Einwohner:innen) und auch für die sehr ländlichen Räume (+29 je 100.000 Einwohner:innen) ergab sich bereits ein kleines Plus. Noch stärker treten die Unterschiede zwischen den Raumtypen in den Jahren 2020 bis 2021 hervor, die durch die Pandemie gekennzeichnet waren, mit +294 für die eher ländlichen und +193 je 100.000 Einwohner:innen für die sehr ländlichen Räume. 

Zu den aktuell günstigen Wanderungsbilanzen in vielen ländlichen Räumen tragen Wanderungen bei, die mit unterschiedlichen Motiven der gewanderten Menschen verbunden sind. Die stark angespannten Wohnungsmärkte in vielen Kernstädten führen verstärkt zu Stadt-Umland-Wanderungen (Wohnsuburbanisierung), die über die bisherigen Grenzen der Stadtregionen hinausreichen. Hinzu kommen die Corona-Pandemie und der Schub bei der Homeoffice-Nutzung, die zusätzlich zu einer Ausdehnung der Suchräume bei der Wohnungssuche beigetragen haben. Wanderungsbewegungen sind immer auch von bestimmten Lebensphasen abhängig wie beispielsweise die Phase der Familiengründung.

Durch ein größeres Interesse an einem Leben und Arbeiten in ländlicheren Regionen besteht ein größerer Spielraum für die Revitalisierung dieser Räume. Zudem können Wohnungsmärkte in Kernstädten entlastet werden.

Petra Klug, Projektleiterin “Daten für die Gesellschaft”

Ländliche Räume profitieren besonders stark, wenn alle drei Arten von Wanderungen zusammenkommen. Im Vergleich zu den Entwicklungen zehn Jahre zuvor weisen viele ländliche Räume eine günstigere Wanderungsbilanz auf, zu der zudem auch die anhaltende Nettozuwanderung aus dem Ausland beiträgt. Die Datenanalyse und Interviews mit Fachleuten vor Ort zeigen aber auch, dass die Folgen der Corona-Pandemie ein Comeback ländlicher Räume weiter verstärkt haben. Wie lange dieser Trend anhalten wird – dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. In jedem Fall werden die Preisentwicklung der Wohnungs- und Immobilienmärkte oder der Energie- und Mobilitätskosten mittelfristig für das künftige Wanderungsgeschehen eine Rolle spielen.

Informationen zur Studie

Die Studie „Comeback ländlicher Räume? Wanderungsbewegungen in Nordrhein-Westfalen“ wurde von der ILS Research gGmbH für die Bertelsmann Stiftung durchgeführt und 2023 im Verlag der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht.

Für die Datenanalyse wurden Daten des statistischen Landesamtes IT.NRW verwendet, die für die Berichtsjahre 1976 bis 2021 zur Verfügung stehen. Die Typisierung der ländlichen Räume erfolgte auf Basis einer Typologie des Thünen-Instituts. In den zwei ausgewählten Kreisen – Euskirchen und Hochsauerlandkreis – wurden im Zeitraum von Mai bis Juli 2022 insgesamt 17 leitfadengestützte Interviews durchgeführt, unter anderem mit Bürgermeister:innen, kommunalen Planer:innen und Immobilenmakler:innen. 

Studie

Datengrundlagen

Die der Studie zugrunde liegenden Daten einschließlich der Befragungsergebnisse können hier als Open Data heruntergeladen werden. Die Bertelsmann Stiftung möchte hierdurch andere Daten-Forscher:innen dazu befähigen, die Daten für eigene Fragenstellungen (beispielsweise für Bachelor-, Master-, Doktorarbeiten oder sonstige Forschungsprojekte) zu verwerten.