Der neu gewählte Bundestag ist jünger und weiblicher, zumindest in einigen seiner Fraktionen. Die neue Generation der Bundestagsabgeordneten möchte nichts weniger als die Welt neu gestalten und nachhaltig verändern. Auch bei den Koalitionsverhandlungen stehen die Zeichen auf Neuanfang. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik könnte es zu einer Ampel-Koalition kommen.
Insofern hätten die Gäste beim vierten "#Polittalk aus der Hauptstadt", ausgerichtet vom Inforadio des rbb, der Süddeutschen Zeitung und uns, passender kaum sein können. Denn zu der Frage "Jung, weiblich, Ampel – wie neu wird Deutschland?" diskutierten die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal (SPD), die frisch gewählte Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann (FDP), sowie Deborah Düring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), die bis vor Kurzem Sprecherin der Grünen Jugend in Hessen war.
Nicht nur die laufenden Koalitionsverhandlungen und die ersten Beschlüsse der Ampel-Fraktionen – insbesondere zur aktuellen Corona-Situation – bieten vielerlei Aufhänger für die von Angela Ulrich (Inforadio) und Stefan Braun (SZ) moderierte Debatte im Berliner Studio 14 des rbb. Für zusätzlichen Gesprächsstoff sorgen die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach in unserem Auftrag. Wie die repräsentative Befragung ergab, findet eine Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP mit 38 Prozent die größte Zustimmung in der Bevölkerung. Die Unterstützung für ein erneutes Bündnis zwischen SPD und Union (16 Prozent) oder eine Jamaika-Koalition aus Union, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP (19 Prozent) wäre noch nicht einmal halb so groß. Wie hoch aber auch die Erwartungen an die möglichen Koalitionäre sind, kommt darin zum Ausdruck, dass sich 44 Prozent der Befragten eine Runderneuerung des Landes wünschen.
Vertrauensvorschuss einlösen
"Wir haben einen großen Vertrauensvorschuss bekommen, den wir jetzt mit Inhalten einlösen müssen", kommentiert Deborah Düring die Zahlen. Vor allem die hohen Zustimmungswerte für FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter den Erstwählern machten die Erwartungshaltung deutlich, ergänzt Franziska Brandmann: "Gerade die jungen Menschen wollen von der Ampel einen Aufbruch sehen."
Zugleich herrschen große Zweifel an der Fähigkeit einer Ampel-Koalition, die aktuellen Probleme zu lösen. Nur knapp 23 Prozent der Befragten glauben derzeit, dass einem solchen Bündnis die notwendige Erneuerung Deutschlands gelingen wird. Fast doppelt so viele (42 Prozent) gehen nicht davon aus, und mehr als ein Drittel (36 Prozent) sind noch unentschieden in dieser Frage. "Auch für die Wähler:innen ist eine lagerübergreifende Mehrparteienkoalition politisches Neuland. Deshalb schauen die Deutschen derzeit noch mit einer erwartungsvollen Skepsis auf die sich anbahnende Ampel-Koalition", kommentiert unser Demokratieexperte Robert Vehrkamp die Ergebnisse. "Die Deutschen wünschen sich mehrheitlich die Ampel-Koalition, haben sehr hohe Erwartungen und blicken gleichzeitig noch etwas skeptisch auf die Erfolgsaussichten dieser ersten lagerübergreifenden Mehrparteien-Koalition in Deutschland."
Angesichts der nach wie vor großen inhaltlichen Unterschiede zwischen den Ampel-Parteien auf wichtigen Politikfeldern ist das kein unerwarteter Befund. Auch beim Polittalk kommen die Differenzen, insbesondere zwischen der FDP auf der einen und Rot-Grün auf der anderen Seite, immer wieder zum Vorschein. Sei es beim Tempolimit, der Mobilitätswende, der Wohnungsnot in Großstädten, einer Frauenquote in der Politik oder bei der Erwägung schärferer Maßnahmen im Kampf gegen die vierte Corona-Welle. Während Brandmann für Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung plädiert, halten Rosenthal und Düring mit der Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen überall dort dagegen, wo das freie Spiel der Kräfte aus ihrer Sicht nicht (mehr) funktioniert.