Außenansicht des Europäischen Parlaments in Straßburg

Ablehnung von Parteien prägt Wahlentscheidungen der Europäer

Unsere Analyse zur Europawahl offenbart eine Antihaltung vieler Europäer. Sie könnten im Mai mehrheitlich gegen, statt für einzelne Parteien stimmen. Gleichzeitig zeigen sich die Anhänger der extremen und europakritischen Ränder stärker mobilisiert als die noch etwas wahlmüde politische Mitte. Dies könnte das Wahlergebnis prägen und die Bildung positiver Mehrheiten im neuen EU-Parlament erschweren.

Die Wahlabsichten der Europäer zur Europawahl 2019 sind für die Demokratie ermutigend: Zwei Drittel aller befragten Europäer (68 Prozent) wollen an der Europawahl teilnehmen. In Deutschland sagen dies sogar fast drei Viertel aller Wahlberechtigten (73 Prozent). Doch bei ihrer Wahlentscheidung könnten sich die Europäer mehrheitlich von ihrer Ablehnung gegen bestimmte Parteien leiten lassen. Das zeigt unsere aktuelle Analyse auf Basis einer großangelegten Europaumfrage zu den Wahlabsichten der Europäer bei der Europawahl 2019. Für die Studie "Europa hat die Wahl" wurden in zwölf europäischen Ländern insgesamt 23.725 Wahlberechtigte befragt.

Wahlmüde Mitte stärkt die europakritischen Links- und Rechtspopulisten an den Rändern

Laut Studie sind die Anhänger der europakritischen Parteien an den politischen Rändern stärker mobilisiert, als die noch etwas wahlmüde politische Mitte.

Die Höhe der Wahlbeteiligung wird für das Wahlergebnis und die Zukunft Europas entscheidend sein.

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

"Europa braucht arbeitsfähige Mehrheiten im neuen europäischen Parlament. Die Mobilisierung der überwiegend proeuropäischen Mitte ist dafür eine wichtige Voraussetzung", kommentiert unser Vorstandsvorsitzender Aart De Geus die Ergebnisse.

Die Studie zeigt aber auch: Einig sind sich die Populisten nur in ihrer EU-Skepsis und Demokratiekritik. In Sachfragen zeigen sich die Wähler der Links- und Rechtspopulisten noch stärker gespalten als die Wähler der etablierten Parteien. Für das neue EU-Parlament bedeutet das: Konsensentscheidungen und positive Mehrheiten erfordern noch größere Koalitionen der etablierten Parteien als bisher. "Je stärker die populistisch-extremen Ränder werden, umso stärker zwingt es die etablierten Parteien zum Konsens. Gelingt den etablierten Parteien dieser Brückenschlag nicht, können negative Mehrheiten zu Selbstblockade und Stillstand führen", so Robert Vehrkamp, unser Demokratieexperte und Mitautor der Studie.

Dagegen statt dafür: Ablehnung von Parteien könnte Wahlentscheidungen dominieren

Die Umfrageergebnisse offenbaren zudem eine gewisse Antihaltung der Europäer. "Viele Bürger entscheiden sich nicht mehr für eine Partei, sondern wählen gegen solche Parteien, die sie am stärksten ablehnen", erläutert Vehrkamp. Im Durchschnitt aller Parteien identifizieren sich nur etwa sechs von 100 Wahlberechtigten (6,3 Prozent) positiv mit einer Partei. Dagegen hat fast jeder Zweite (rund 49 Prozent) eine negative Parteiidentität, lehnt also eine oder sogar mehrere Parteien vollständig ab.

Besonders interessant sind die Werte zur Ablehnung oder Zustimmung einzelner Parteien an den politischen Rändern. Einerseits kassieren die extremen und populistischen Parteien mit rund 52 Prozent die höchsten Ablehnungswerte. Gleichzeitig haben die Rechtspopulisten mit rund zehn Prozent die höchsten und auch die Linkspopulisten mit rund sechs Prozent relativ hohe Werte bei den positiven Parteiidentifikationen. "Die populistischen Parteien haben es in relativ kurzer Zeit geschafft, sich eine stabile Stammwählerbasis zu schaffen. Ihre gleichzeitig hohen Ablehnungswerte zeigen aber auch, wie gefährlich es für andere Parteien wäre, die populistischen Parteien nachzuahmen", so Vehrkamp. Die etablierten proeuropäischen Parteien hingegen sollten die stark verbreitete Ablehnung populistischer Parteien laut den Autoren noch aktiver für eine antipopulistische Gegenmobilisierung der Wähler nutzen.

Schlechte Repräsentation verursacht Populismus

Aber was sind die Ursachen für Populismus? Dazu hat die Studie erstmals auch den Kausalzusammenhang zwischen Repräsentation und Populismus untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Repräsentationslücken verursachen Populismus.

Je schlechter sich Menschen von der Politik repräsentiert fühlen, desto empfänglicher werden sie für populistische Botschaften und desto eher wählen sie auch populistische Parteien.

Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Bertelsmann Stiftung

"Wer die weitere Ausbreitung populistischer Einstellungen verhindern will, sollte sich deshalb um eine möglichst gute Repräsentation aller Wähler kümmern. Gute Repräsentation ist die beste Versicherung gegen Populismus", so Vehrkamp zusammenfassend. Außerdem seien Wählkämpfe für ein Gespräch zwischen dem Wahlvolk und seinen Politikern immer eine besondere Chance.