Die Demokratiequalität in der OECD und EU hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Zudem erschwert die zunehmende politische Polarisierung den Prozess des Regierens und damit auch die Reformfähigkeit der Staaten. In einigen Staaten wie den USA, Ungarn oder der Türkei verschärfen die Regierungen gesellschaftliche Konfliktlinien bewusst, statt langfristig orientierte Problemlösungen im gesellschaftlichen Konsens auszuhandeln. Das sind die Ergebnisse der Sustainable Governance Indicators 2018 (SGI). Der Ländervergleich untersucht insgesamt 41 Staaten in Bezug auf ihre Demokratiestandards, die Qualität der Regierungsführung und Qualität der Politikergebnisse in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Mit dem Index analysieren wir seit 2011 regelmäßig die Zukunftsfähigkeit der OECD- und EU-Staaten.
Die Qualität der Demokratie nimmt in vielen Industriestaaten ab
Globalisierung, soziale Ungleichheit und Klimaschutz – angesichts enormer Herausforderungen müssten die OECD- und EU-Staaten eigentlich mit Eifer ans Werk gehen. Doch abnehmende Demokratiestandards und eine zunehmend polarisierte Politik erschweren das Umsetzen nachhaltiger Reformen.
Umso bedenklicher ist daher der zu beobachtende Trend, dass sich demokratische Standards verschlechtern und viele Länder wichtige Kriterien des "guten Regierens" vernachlässigen. Die Fähigkeit aller OECD- und EU-Staaten, Probleme zu lösen, sind im Durchschnitt in den vergangenen Jahren gesunken.
Demokratische Standards nehmen in 26 von 41 Staaten ab
In Bezug auf die Regierungsführung und die Qualität der Politikergebnisse erhalten die skandinavischen Länder sowie die Schweiz und Deutschland wie auch in den vergangenen Jahren die besten Noten. Doch auch hier wächst die parteipolitische Polarisierung und erschwert nötige langfristig orientierte Reformen. Insgesamt 26 Länder zeigen schlechtere demokratische und rechtsstaatliche Standards gegenüber den Ergebnissen der SGI von 2014. Besonders negative Entwicklungen offenbaren sich in Ländern wie Ungarn, Polen, Mexiko und der Türkei, aber auch in den USA. Diese ist in den Bereichen Demokratie und Regierungsqualität jeweils um neun Plätze abgerutscht. Polen hat sich in Sachen Demokratiestandards gar um 29 Plätze verschlechtert. "Das Leitbild der liberalen Demokratie gerät auch in der OECD und EU zunehmend unter Druck, in manchen Ländern sind zentrale demokratische und rechtsstaatliche Standards – wie etwa die Medienfreiheit – bereits schwer beschädigt", erläutert Studienleiter Daniel Schraad-Tischler.
Alarmierend sei zudem, dass in Ländern wie Polen, Ungarn und der Türkei das Vertrauen der Bürger in die Regierung trotz abnehmender Demokratiequalität über die letzten Jahre hinweg sogar zugenommen hat. "Diese Entwicklung macht deutlich, dass in diesen Ländern fundamentale demokratische Grundwerte bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung nicht ausreichend im politischen Bewusstsein verankert sind", so Schraad-Tischler.
Dauerwahlkampf statt Regieren
Die parteipolitische Polarisierung zwischen "Links" und "Rechts" hat in fast allen Ländern zugenommen. Populistische Parteien verschärfen diesen Trend in vielen Parlamenten zusätzlich und Regierungen in einigen Ländern verstärken gesellschaftliche Konfliktlinien eher als sie aufzubrechen. Unser Bericht konstatiert in diesem Zusammenhang, dass viele Regierungen in der Planungsphase von Reformen weniger als früher auf eine breite Beratung mit gesellschaftlichen Akteuren setzen. 18 Länder – darunter etwa die USA, Polen, Ungarn, aber auch Länder wie Island oder Tschechien – haben sich in diesem Bereich seit den SGI-Ausgaben von 2011 und 2014 teils deutlich verschlechtert, während sich nur zehn Länder, wie zum Beispiel Südkorea, Irland oder Malta verbessern konnten. Manche Regierungen – wie in Ungarn, Polen oder der Türkei – umgehen bewusst rechtlich vorgesehene Konsultationsverfahren oder schließen regierungskritische Akteure aus. Neben der schwächeren Einbindung gesellschaftlicher Akteure haben sich zudem die Kommunikationsfähigkeiten und die Umsetzungseffizienz der Regierungen verschlechtert. "Wir beobachten in vielen Ländern eine Art Dauerwahlkampf. Regierungen schaffen es nicht mehr ausreichend, ihre Vorhaben klar zu kommunizieren und ein Einvernehmen in Sachfragen herzustellen. Darunter leidet am Ende die Umsetzung und Qualität langfristiger Politiklösungen", erläutert Schraad-Tischler.
Diese geschwächte Fähigkeit, Probleme zu lösen, wiegt angesichts drängender politischer Herausforderungen schwer: "Trotz der wirtschaftlichen Stabilisierung nach der Finanzkrise haben etwa die Werte für soziale Teilhabe in vielen OECD- und EU-Staaten – insbesondere in den südeuropäischen Krisenstaaten – noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Außerdem sehen wir angesichts schwacher Investitionen in Forschung und Entwicklung oder mangelnder Lösungsansätze für den demographischen Wandel, dass es zahlreiche politische und wirtschaftliche Baustellen gibt, die aber oft zu zögerlich bearbeitet werden", so Schraad-Tischler.
Deutschland: Weniger Vorbild als zu erwarten
Deutschland ist in den drei Untersuchungsdimensionen des internationalen Vergleichs, nämlich Demokratiequalität, gutes Regieren und nachhaltige Politikergebnisse, durchweg unter den zehn bestplatzierten Ländern. In Sachen nachhaltiger Politikergebnisse konnte sich Deutschland sogar erneut verbessern und ist zusammen mit der Schweiz an die spitzenplatzierten nordischen Staaten herangerückt. Hauptgründe hierfür sind im Falle Deutschlands gute Ergebnisse in den Bereichen Arbeitsmarkt, Rang vier unter allen Staaten, Rang fünf in Forschung und Entwicklung, und Rang drei in Umwelt.
Doch auch in der Bundesrepublik hat die politische Polarisierung – insbesondere mit dem Erstarken der AfD – in den letzten Jahren klar zugenommen. Eine traditionelle Schwierigkeit innerhalb des Regierungssystems besteht darin, in einer Koalitionsregierung mit einem starken Ressortprinzip eine klare Kommunikation nach außen sicherzustellen. Diese Herausforderung wird durch die Verschiebung der parteipolitischen Koordinaten zusätzlich sichtbar. Die zuletzt öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen um die Richtung der künftigen Migrations- und Flüchtlingspolitik oder heftige Personaldebatten sind nur zwei Beispiele für diesen Schwachpunkt. Ähnlich wie bei der Regierungskommunikation zeigen sich zudem deutliche Schwächen im Bereich der strategischen Planung. Bei beiden Kriterien rangiert Deutschlands Regierungssystem nur im unteren Mittelfeld des Ländervergleichs. Spitzenreiter hier sind dagegen Dänemark, Kanada und Finnland.
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Sämtliche Länderberichte und Daten finden Sie auf der SGI-Website.
Die Leitfrage der Sustainable Governance Indicators lautet: Wie lassen sich nachhaltige Politikergebnisse und eine größere Langfristorientierung in der Politik erzielen? Der grundsätzliche Ansatz besteht darin, alle 41 Staaten der OECD und EU einem detaillierten Leistungsvergleich auf der Grundlage eines maßgeschneiderten Sets von rund 140 Indikatoren zu unterziehen. Auf diese Weise lassen sich Erfolgsbeispiele für nachhaltiges Regieren und entsprechende Politik- und Governance-Innovationen identifizieren. Das Instrument basiert auf drei Säulen: dem Policy Performance Index, dem Quality of Democracy Index und dem Governance Index.
Weitere Informationen finden Sie auch auf der Website des SGI.