Die Moschee auf dem Komplex des Taj Mahal in Agra in Indien, umhüllt von Nebel.

Freihandel zwischen EU und Indien brächte Deutschland jährlichen BIP-Zuwachs von bis zu 4,6 Milliarden Euro

Seit Donald Trump US-Präsident ist, sind die Beziehungen zwischen der EU und den USA unsicherer geworden. Für die EU ist es daher sinnvoll, sich mehr nach Asien zu orientieren. Indien mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern gilt als dynamischer Wachstumsmarkt, der jedoch relativ stark von der Weltwirtschaft abgeschottet ist. Ein europäisch-indisches Freihandelsabkommen könnte neue Impulse setzen.

Bollywood, Yoga, Call Center – Indien steht hierzulande eher für Esoterik und dafür, Dienstleistungen ins Ausland zu verlagern, weniger für hoch entwickelte Industrie und regen Warenaustausch. Das liegt auch daran, dass es trotz seiner Bevölkerungsgröße im Welthandel ein Zwerg ist: Gerade einmal 1,6 Prozent der globalen Warenexporte stammen aus dem asiatischen Land. Doch mittlerweile ist es der neuntgrößte Handelspartner der EU. Umgekehrt stehen die Europäer für Indien an erster Stelle. Bereits seit 2007 verhandeln Brüssel und Neu-Delhi über ein Freihandelsabkommen – mit mäßigem Erfolg. Dabei zeigt unsere neue Studie: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnten beide Seiten davon profitieren. In der EU hätte Deutschland nach Großbritannien die größten absoluten BIP-Zuwächse.

Die EU und Indien könnten von einem Freihandelsabkommen profitieren – doch nicht alle Branchen würden Gewinne machen

Das gegenseitige Handelsvolumen zwischen der EU und Indien belief sich 2016 auf rund 77 Milliarden Euro. Noch immer stehen einem weiteren Wachstum jedoch zahlreiche Handelshemmnisse im Weg. Mit dem geplanten Freihandelsabkommen ließen sich Zölle und sogenannte nicht-tarifäre Barrieren reduzieren. So könnten erhebliche Wohlfahrtsgewinne erzielt werden, die etwa 10 bis 12 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens vollständig spürbar wären. 

Mit Abschluss eines Freihandelsabkommens könnte Indiens Wirtschaftsleistung gemessen am BIP langfristig um 1,3 Prozent jährlich zunehmen. Bezogen auf das indische BIP von 2015 entspräche dies einem Zuwachs von etwa 25,6 Milliarden Euro.

Für die EU wiederum beliefen sich die jährlichen BIP-Zuwächse durchschnittlich auf 0,14 Prozent. Bezogen auf das BIP von 2015 entspräche dies etwa 21 Milliarden Euro. Die einzelnen Mitgliedsstaaten würden sehr unterschiedlich profitieren: Deutschland könnte mit etwa 4,6 Milliarden Euro nach Großbritannien die zweithöchsten absoluten Zuwächse verbuchen. Für Kroatien beispielsweise lägen die Effekte dagegen bei nur 0,02 Milliarden Euro. Jedoch hätte auch kein EU-Mitglied negative Gesamteffekte, was bei dieser Art von Berechnung nicht selbstverständlich ist.

Was die einzelnen Wirtschaftssektoren angeht, so könnten in Deutschland vor allem die Kfz- und Maschinenbau-Branchen profitieren und ihre Wertschöpfung um bis zu 1,5 beziehungsweise 1,4 Milliarden Euro im Jahr steigern. Unternehmensnahe Dienstleistungen sowie die Bekleidungs- und Textilbranche dagegen würden verlieren: Ihre Wertschöpfung würde um hunderte Millionen Euro sinken.

In Indien wiederum würden unternehmensnahe Dienstleistungen und die Textilbranche zu den Gewinnern eines Freihandelsabkommens zählen. Sie könnten ihre Wertschöpfung um circa 6 beziehungsweise 3,3 Milliarden Euro pro Jahr steigern. Auf der Verliererseite ständen Sektoren, die gegenüber europäischen Konkurrenten kaum wettbewerbsfähig sind, wie etwa die indische Kfz-Branche. Ihre Wertschöpfung würde um rund 1,5 Milliarden Euro sinken.

Freihandelsabkommen mit Indien wäre für die EU ein strategischer Schritt Richtung Asien

Ein europäisch-indisches Freihandelsabkommen hätte nicht nur positive ökonomische Effekte, sondern würde auch ein wichtiges Zeichen für Freihandel insgesamt setzen, betont Cora Jungbluth, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Zudem wäre es ein strategisch wichtiger Schritt, um in Asien Wachstumsmärkte für europäische Unternehmen besser erschließen zu können.

Zwar hätte ein Freihandelsabkommen zur Folge, dass sich die indische Wirtschaft weiter öffnen würde. Doch für das Schwellenland und die EU brächte es neben Chancen auch Risiken mit sich. Einerseits ließen sich Innovation, Produktivität und Wachstum positiv beeinflussen. Andererseits könnten weniger wettbewerbsfähige und produktive Wirtschaftsbranchen dem erhöhten Konkurrenzdruck möglicherweise nicht standhalten.

Um die Verhandlungen über das europäisch-indische Freihandelsabkommen wieder aufnehmen und vorantreiben zu können, seien daher auf beiden Seiten Kompromisse notwendig, unterstreicht Cora Jungbluth. Insbesondere müsse die EU ihrer Verantwortung gegenüber Indien als Schwellenland nachkommen. Handelsabkommen ziehen in den beteiligten Ländern in der Regel einen Strukturwandel nach sich. Die EU müsse Indien daher genug Zeit und Flexibilität zugestehen, um diesen zu gestalten, so die Wirtschaftsexpertin.

Die komplette Studie finden Sie hier.