Die Diskutanten auf dem Podium.

25 Jahre nach dem Mauerfall: Was erwartet die Welt von Deutschland?

Voller Sympathie, Hoffnungen und Ängste blickte vor 25 Jahren die Welt nach Berlin, als dort die Mauer fiel. Was ist aus diesen Erwartungen geworden – was erhoffen sich die Nachbarn von Deutschland heute? Darüber diskutierten in Berlin prominente Zeitzeugen mit dem Korps der Auslandspresse in der Hauptstadt.

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Er selbst war damals in Paris als ZEIT-Korrespondent bei einem Empfang zum 200. Jahrestag der französischen Revolution in Paris eingeladen, als die Nachricht vom Mauerfall die Runde machte. Joachim Fritz-Vannahme, heute Leiter des Europa-Programms der Bertelsmann Stiftung tätig, erinnerte als Auftaktimpuls an die damalige politische Perspektive in Westeuropa auf die deutsche Frage: "Frankreich stellte damals nicht die Bedingung, dass Deutschland die D-Mark aufgeben müsse, wollte es seine Einheit erlangen. Nein, umgekehrt, Kanzler Kohl musste erkennen, dass er die mögliche Einheit gefährdet, wenn er auf dem längst eingeschlagenen Weg zur Währungsunion bummelt oder gar vom vereinbarten Weg abweicht. Francois Mitterand bezweifelte auch nicht die Legitimität deutscher Selbstbestimmung: Er wollte sie nur europäisch abgesichert wissen."

Joschka Fischer, der zweite deutsche Außenminister nach der Wiedervereinigung, stellte den Kontrast zu heute fest: "Die Europäische Union wurde damals geschaffen, um ein größeres Deutschland praktisch einzuhegen. Heute dagegen wird die EU von Deutschland quasi wie ein wirtschaftlicher Hegemon gesteuert." Die Politik der Währungsunion unter Merkels Führung werde weithin als oktroierte Politik wahrgenommen. Und diese Wahrnehmung sei fatal, zumal die deutsche Haltung dazu führe, dass sich die europäische Krise immer weiter verlängere und vertiefe.

Professor Heinrich August Winkler, einer der führenden Zeithistoriker europäischer Geschichte, erinnerte an die vorherrschende Erfahrung mit Deutschland: "1989 ging es darum, dass Deutschland nie wieder ein störender Faktor in der europäischen Politik werden dürfe. Heute sieht er die Zukunft Deutschlands in einem weiteren Souveränitätsverlust zusammen mit seinen engsten Nachbarn und gleichzeig auch als starken Garanten für europäische Vereinbarungen. Deutschland müsse für ein Junktim zwischen neuen Wachstumsimpulsen und gleichzeitigen Strukturreformen in den Krisenländern sorgen. Die Kraft dazu habe kein anderes Land.

Zur Frage der deutschen Rolle haben unsere Nachbarn aber weiterhin widerstrebende Auffassungen. Einerseits soll Deutschland heute in Europa führen, sich andererseits aber auch Zurückhaltung auferlegen. Aus polnischer Sicht meinte Adam Krzemińiski, Redakteur der Zeitschrift Polityka und Deutschlandkenner, wünsche man durchaus ein Deutschland, das dieses Europa anführt. "Aber eher so wie ein Libero beim Fußball, einer er nicht alle Tore schießen will, dafür aber die Bälle verteilt und das Spiel organisiert." Und man könne auch mit einem zurückhaltenden und einem zögerlichen Hegemon sehr gut leben, solange er wisse, wohin die Richtung gehen soll.

Die häufig skeptische Haltung gegenüber Deutschland aus französischer Sicht erläuterte Dr. Claire Demesmay, Leiterin des Frankreich-Programms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Wir leben heute in einer Schicksalsgemeinschaft, aber in unseren Köpfen existieren noch immer die Mauern des nationalen Bewusstseins und wir belügen uns darüber, wenn wir behaupten es gebe keinen gegenseitigen Souveränitätsverlust." Im deutsch-französischen Verhältnis werde es aber immer wieder Kompromissvereinbarungen geben, auch wenn diese viel Zeit kosten, die man nicht habe. Und doch seien Kompromisse nur eine Methode und keine Strategie oder Vision für ein gemeinsames Europa.

Die Podiumsdiskussion am 27. Oktober 2014 war Teil des Jahresempfangs des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland (VAP), die in diesem Jahr in der Berliner Vertretung der Bertelsmann Stiftung stattfand. Eine Aufzeichnung der gesamten Podiumsdiskussion senden Deutschlandradio Kultur am 31. Oktober 2014 um 18 Uhr und der Deutschlandfunk am 5. November um 19.15 Uhr. Den Auftaktimpuls von Joachim Fritz-Vannahme finden Sie zum Download in der rechten Spalte.