Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Michael Thöne, Helena Kreuter

Öffentliche Güter im föderalen Europa

Studie

Ausgabeart
PDF
Erscheinungstermin
10.03.2021
Auflage
1. Auflage
Umfang/Format
45 Seiten, PDF

Preis

kostenlos

Beschreibung

Europa soll durch die Bereitstellung von mehr und besseren europäischen öffentlichen Gütern (EÖG) stärker und souveräner werden. Die Europäische Union soll mehr von den Aufgaben übernehmen, die ihr nach Größe und Funktion zukommen sollten. Europa soll europäischer werden. Um diesen Anspruch in die Tat umzusetzen, wird die Union absehbar mehr Eigenschaften eines kooperativen Bundesstaats annehmen müssen.

Eine erfolgreiche Umsetzung des Konzepts der europäischen Gemeinschaftsgüter verlangt, den Weg dahin klarer auszuleuchten und zu wissen, wie diese EÖG dann in die Praxis umgesetzt werden können. Mit diesen Fragen beschäftigt sich das vorliegenden Papier: Einerseits dem geeigneten institutionellen Rahmen für die Einführung und Umsetzung europäischer öffentlicher Güter; andererseits für die optimale gestufte Organisation ihrer Bereitstellung im europäischen Mehrebenensystem. Es nutzt dazu zwei Analogien.

Mit der ersten Analogie fragen wir, ob die EU als staatspolitisches Gebilde sui generis nicht besser verstanden werden kann, wenn sie explizit als Nebeneinander von Bundesstaat und Staatenbund betrachtet wird. Das bundesstaatliche supranationale System bietet einen demokratisch und fiskalisch angemessenen Governance-Rahmen für die Durchführung neuer europäischer öffentlicher Güter, aber stellt wesentliche Hindernisse für deren Einführung. Beim staatenbundähnlichen zwischenstaatlichen Handlungssystem ist es genau umgekehrt: Es ist für die Durchführung neuer europäischer öffentlicher Güter nur schlecht geeignet, aber bietet größere Chancen für deren Einführung. Diese Erwägungen könnten nahelegen, dass zusätzliche europäische öffentliche Güter vor ihrem eigenen „föderalen Paradox" stehen. Dieses Problem ist nicht unüberwindbar, muss aber immer im Auge behalten werden.

Die zweite Analogie stellt die EU – vor allem ihr bundesstaatliches Element – dem deutschen Modell des kooperativen Föderalismus oder „Vollzugsföderalismus“ gegenüber. Dieser Vergleich veranschaulicht die Fragen und Aufgaben, die bei der Bereitstellung von EÖG entstehen, wenn die Gesetzgebungs-, Vollzugs- und Finanzierungskompetenz unterschiedlich verteilt werden können. Diese Betrachtung hilft zu verstehen, dass viele EÖG nicht allein durch die EU erbracht werden sollten.

Wollte man europäischen Föderalismus auf das Muster eines nach US-amerikanischen Modell entworfenen Bundesstaats begrenzen, dürften nur wenige Gemeinschaftsgüter gestaltbar sein. In vertikal kooperativen Föderalstaaten werden hingen Gesetzgebungs-, Durchführungs- und Finanzierungskompetenz für bestimmte Leistungen nicht immer derselben Ebenen zugeordnet. Das kann Konnexitätsprobleme mit sich bringen. Es wird dennoch eine effiziente Aufgabenverteilung gerade für die häufigen Fälle geschaffen, in denen die EU über keine eigenen Vollzugsorgane vor Ort verfügt und nicht aufbauen sollte. Wir formulieren ein Kriterienraster als Anleitung für das maßgeschneiderte fiskalföderale Design unterschiedlichster EÖG.

Die wichtigsten Prototypen vertikaler Kompetenzenteilung werden mit vier Beispielszenarien illustriert. In der Feinarbeit dieses Designs widmen wir besondere Aufmerksamkeit der zentralen Finanzierung solcher Gemeinschaftsgüter, die von den Mitgliedstaaten vor Ort vollzogen werden. Dieses vielversprechende Modell ist in der föderalen Praxis noch recht jung – und innovativ.

Mit Blick auf die wiederauflebende Diskussion zur künftigen Finanzierung der EU erörtern wir zudem den traditionellen Streitpunkt des „Juste retour“. Es verkörpert symbolhaft und faktisch eine der zentralen Hürden, die das supranationale System der Europäischen Union noch von der „normalen“ oberen Ebene eines Bundesstaats unterscheidet. Konsistent gelöst wird es darum erst, wenn zentrale, der EU politisch zugerechnete Einnahmeninstrumente dazu eingesetzt werden, Leistungen mit einem sichtbaren europäischen Mehrwert – echte Gemeinschaftsgüter – zu finanzieren. Die mit „NextGenerationEU“ und dem EU-Wiederaufbaufonds in die Wege geleiteten Neuerungen bei EU-Steuern und -Verschuldung eröffnen hier Möglichkeiten, die sich ohne die große Corona-Krise als unfreiwilligen Katalysator europäischen Fortschritts kaum ergeben haben dürften.

Diese Studie wurde von Michael Thöne, Direktor des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität Köln (FiFo) und Helena Kreuter, Wissenschaftlerin am FiFo, im Rahmen der Reflexionsgruppe der Bertelsmann Stiftung zu Europäischen Öffentlichen Gütern verfasst.

Den Policy Brief zur Studie finden Sie hier.