Mehr Fairness bei der Migration

Deutschland ist das beliebteste Einwanderungsland in Europa. Doch es kann mehr tun, um Migration fair und effizient zu gestalten und zu einem Gewinn für alle Beteiligten zu machen. Dafür plädiert Jörg Dräger, Mitglied des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung, in seinem Kommentar für das aktuelle change Magazin.

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Text von Jörg Dräger für change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Ausgabe 2/2015.

Streit um ein Einwanderungsgesetz, Demonstrationen für und gegen Vielfalt, eine Welle der Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge, aber auch Brandanschläge gegen Asylbewerberunterkünfte – kaum ein Thema bewegt die Menschen in Deutschland zurzeit so sehr wie Migration. Das ist nicht verwunderlich, denn unser Land ist aktuell der Einwanderungsmagnet in Europa. 2013 lag der Einwanderungssaldo mit 429.000 Einwanderern so hoch wie seit 1993 nicht mehr; eine erneute Steigerung auf mindestens 470.000 wird erwartet. 

Bei aller Kontroverse über Chancen und Risiken des aktuellen Zuwanderungsbooms ist eines klar: Deutschland ist aus demographischen Gründen auf Einwanderung angewiesen. Ohne Einwanderer würde das Erwerbspersonenpotenzial bis 2050 um 16 Millionen Menschen abnehmen. Experten beziffern den jährlichen Zuwanderungsbedarf deswegen auf rund 500.000 Personen, um Wohlstand und Stabilität im Land zu erhalten. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist zwar der Ansicht, dass Einwanderer in Deutschland willkommen sind. Aber viele Menschen glauben auch, es gehe bei der Migration aus unterschiedlichsten Gründen nicht fair zu. Rund 30 Prozent möchten, dass der Staat lieber Geld für Deutsche als für Einwanderer ausgibt. Rund 40 Prozent wollen ausländische Fachkräfte nur dann anwerben, wenn die Entwicklung der Herkunftsländer nicht beeinträchtigt wird.

Faire und effiziente Migration ist eine große Herausforderung, denn sie ist nur begrenzt steuerbar. Das gilt besonders für die innereuropäische Mobilität. Bei der Arbeitsmigration aus Drittstaaten, die für Deutschland beim erwartbaren Rückgang der Einwanderung aus EU-Staaten wichtiger wird, gibt es allerdings wirkungsvolle Gestaltungsmöglichkeiten. Unser Maßstab sollte dabei der sogenannte "Triple Win" sein: ein Nutzen für Migranten, Einwanderungsländer und Auswanderungsländer. Einwanderer brauchen angemessene Arbeits-, Aufstiegs- und Integrationschancen. Einwanderungsländer öffnen sich bereitwilliger, wenn sie Arbeitskräfte benötigen und der eigenen Bevölkerung kein Nachteil droht. Herkunftsländer profitieren beispielsweise durch Rücküberweisungen oder Wissenstransfer der Auswanderer. Dieser dreifache Nutzen stellt sich allerdings nicht unbedingt von allein ein: Es braucht einen Rahmen, der einen fairen Interessenausgleich ermöglicht.

Ein solcher Rahmen könnte eine "soziale Marktwirtschaft für Migration" sein. So wie die soziale Marktwirtschaft im nationalen Rahmen auf "Wohlstand für alle" zielt, geht es im internationalen Rahmen um eine weltweit positive Entwicklung und ein globales Plus an Bildung, Arbeit und Beschäftigung. Dazu bedarf es aufeinander abgestimmter Einwanderungs- und Entwicklungsstrategien, an denen Sozialpartner und Zivilgesellschaft beteiligt sind. Internationale Verträge können Migranten vor Ausbeutung und Herkunftsländer vor dem Ausbluten schützen. Bilaterale Abkommen zwischen Ziel- und Herkunftsländern können die passgenaue Anwerbung von Fachkräften ermöglichen.

Auch Deutschland kann mehr für Fairness tun: Mit einem verständlichen Einwanderungsgesetz qualifizierte Zuwanderung von außerhalb der EU nicht nur erlauben, sondern fördern; mit Herkunftsländern von Migranten die Entwicklungszusammenarbeit ausbauen; und sich aktiver in den europäischen und internationalen Foren für eine global faire Migrationsgestaltung einsetzen.

Mehr Fairness ist auch nötig im Blick auf die erzwungene Migration. Wenn Flüchtlinge im Mittelmeer sterben, muss Deutschland nicht nur seinen humanitären Verpflichtungen nachkommen, sondern auch schneller Klarheit über deren Perspektiven schaffen und für die, die bleiben können, zügig Wege in die Arbeit eröffnen.