Eine große Menschenmenge mit Fahnen in der Hand, auf einem Platz, darüber befinden sich die Europaflagge sowie die polnische Flagge. In Hintergrund ein historisches Gebäude

Schlechte Karten für Polen? Kaum Aussicht auf Erfolg in der EU-Politik

Seit 2015 befindet sich die politische Landschaft Polens im Wandel und spiegelt die neue Befindlichkeit der enttäuschten Bevölkerung. Mit dem fortschreitenden Abbau der Demokratie entfernt sich das EU-Mitglied immer weiter vom Rest Europas. Wenig deutet auf eine baldige Annäherung. Eine Analyse von Piotr Buras.

Während außenstehende Beobachter sich um die Zentralisierung der Macht in Polen sorgen, hoffen viele Polen darauf, dass die Regierung weitere Sozialleistungen einführt. Die Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung belegen den Niedergang der demokratischen Werte seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahr 2015 an die Macht kam, doch die Wirtschaft zeigt sich weiter stabil. Von breiter Zustimmung getragen sind die längst überfälligen Reformen in der Familien- und Arbeitsmarktpolitik, die von der PiS-Regierung auf den Weg gebracht wurden.

Im Kern ist der gegenwärtige politische Wandel vor allem eine Gegenreaktion: die deutliche Distanzierung vom Weg der demokratischen Umgestaltung, den Polen 1989 eingeschlagen hatte. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatlichen Institutionen ging in der neoliberalen Ära verloren, weil es nicht gelang, Wohlfahrt und Effizienz zu sichern. Als das Rechtssystem und die Medien den neuen Machthabern zum Opfer fielen, löste das bei vielen deshalb nur ein Schulterzucken aus. 

Wechselseitiges Misstrauen prägt die internationalen Beziehungen

Die neue politische Ausrichtung hat sich erwartungsgemäß auf Polens Beziehungen zur restlichen Welt ausgewirkt. Das internationale Ansehen des Landes ist stark angeschlagen. Besonders deutlich wird das mit dem Verfahren gegen Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge, das die EU-Kommission eingeleitet hat, weil es die Rechtsstaatlichkeit des Mitglieds in Gefahr sieht. Das Misstrauen wird auf polnischer Seite durchaus erwidert. Der heimische Anti-Liberalismus geht Hand in Hand mit dem Wunsch, den Europäisierungsprozess zurückzuschrauben. Nur noch wenige teilen die Auffassung, dass den polnischen Interessen am besten durch die Orientierung an westlichen Standards, eine Vertiefung der EU-Integration und die Annäherung an wichtige europäische Partner, allen voran Deutschland,  gedient sei. Liberalisierung und Europäisierung waren die Grundpfeiler der politischen Umgestaltung der 1990er-Jahre, es ist deshalb wenig verwunderlich, dass sie im Zuge der Abkehr von dieser Politik zusammen in die Schusslinie geraten.

Insgesamt erleben wir einen totalen Einstellungswandel. In der Vergangenheit galt Polen – auch den Polen selbst – als schwach und unterlegen, während der Westen für Stärke und Modernisierung stand. Dieses positive Image hat unter den zahlreichen Krisen des vergangenen Jahrzehnts gelitten. Heute ist die EU kein Synonym mehr für Stabilität, die Anziehungskraft Westeuropas ist verloren gegangen. In diesem Umfeld fühlen sich viele zu den Äußerungen der PiS hingezogen, dass Polen mit seiner starken nationalen Identität, robusten Wirtschaft und ethnischen Homogenität besser für die Herausforderungen der Zeit gerüstet sei, als so mancher schwächelnder westeuropäischer Staat.

Die Warschauer Variante des EU-Skeptizismus

Trotz des weit verbreiteten Misstrauens gegenüber der EU, steht den Polen nicht der Sinn nach einem "Polexit". Das Land möchte Teil der EU bleiben, ist aber mit dem gegenwärtigen Integrationskurs unzufrieden. Eine ganze Reihe von Entwicklungen verärgern Warschau: der zunehmende Protektionismus in Westeuropa, der eine Gefahr für den Binnenmarkt darstellt; die Tatsache, dass Kooperation in der Zuwanderungsfrage in der EU zur Chefsache geworden ist; Die Gefahr, dass nach dem Brexit die Verteilungskämpfe innerhalb der EU an Heftigkeit zunehmen werden; die Debatte um die Schaffung "strategischer Autonomie" in der Verteidigung der EU, die die transatlantischen Beziehungen belasten könnte. Warschaus Unbehagen in all diesen Punkten erklärt die euroskeptische Haltung Polens in der Integrationsdebatte und seinen Widerstand gegen die Pläne aus Paris und Brüssel, die politische Zusammenarbeit zu intensivieren.

Im Januar 2016 erklärte Polen, sein wichtigster Verbündeter in Europa sei das Vereinigte Königreich. Die Abkehr von Deutschland als wichtigstem Partner folgte einer Logik: Noch vor dem Brexit-Referendum nährten Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich die Hoffnung, mit einem gemeinsamen britisch-polnischen Vorgehen in der EU eher die Marktintegration und weniger die politische Integration voranzutreiben. Der Brexit-Entscheid offenbarte, wie sehr sich Polen verkalkuliert hatte: Der neue Partner trennt sich ganz von der Gemeinschaft und lässt Warschau mit seinen Reformambitionen allein zurück.

Wie kann Polen jetzt weitermachen? Gegenwärtige Modernisierungsbemühungen zielen darauf, Polens Position in der Wertschöpfungskette zu verbessern, damit das Land sich von der Rolle des Unterauftragnehmers der deutschen Wirtschaft befreien kann. Doch für eine solche Modernisierung braucht man starke Beziehungen zu westlichen Partnern, das hat auch Premierminister Morawiecki inzwischen deutlich gemacht.

Sich aus den Entscheidungsprozessen der EU zurückzuziehen stellt für Polen keine Option dar. Im Gegensatz zum Hauptverbündeten Ungarn hat Polen in vielen Feldern der EU-Politik, darunter die Energie- und Sicherheitspolitik, besondere und vielfältige Interessen, über die es mit der EU im Gespräch bleiben will. Vor diesem Hintergrund muss auch die neue Debatte über einen Beitritt zur Eurozone gesehen werden, die hauptsächlich von unabhängigen Experten und der politischen Opposition getragen wird.

Keinen Trumpf in der Hand

Polen hat international keine ernsthafte Alternative für die Anbindung an die EU. Weder die Intensivierung der regionalen Zusammenarbeit mit den Visegrád-Ländern und dem Balkan im Rahmen der sogenannten Drei-Meeres-Initiative, von der sich in Warschau einige erhofften, sie könne der deutschen Hegemonie entgegenwirken, noch eine strategische Beziehung zu China stellen einen vollwertigen Ersatz dar. Bei der ersten Option mangelt es den Partnern an echtem Willen, bei der letzteren hat Warschau zu viele Bedenken. Außerdem lässt sich kaum erkennen, wie eine stärkere Renationalisierung im Sinne der PiS-Forderung nach einem "Europa souveräner Nationalstaaten", Polen dabei behilflich sein könnte, zukünftig seine Interessen durchzusetzen.

So bleibt festzuhalten, dass die polnischen Beziehungen zur EU auch weiterhin von Rechtsstaatlichkeitproblemen und mangelnder Unterstützung bei der Zuwanderung überschattet werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich das belastete Verhältnis bald verbessert, denn dafür müsste Warschau einen Richtungswechsel vornehmen, was äußerst unwahrscheinlich ist.

Düstere Aussichten für dieses für den EU-Reformprozess entscheidende Jahr, in dem auch die geopolitische Unsicherheit weiter zunimmt. 2018 feiert Polen außerdem das 100-jährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit und blickt zurück auf eine Ära, die eines ganz sicher gelehrt hat:  Nur auf sich gestellt zu sein, hatte für das Land immer katastrophale Folgen.

Aus dem Englischen übersetzt von Karola Klatt.

Piotr Buras leitet das Warschauer Büro des European Council on Foreign Relations. Der Journalist und Autor ist Experte für deutsche und europäische Politik. Er war Kolumnist der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, für die er auch als Korrespondent aus Berlin berichtete.