Frau Weltall

Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft als Chefsache beim Bundeskanzler

Um die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen und die überfälligen Innovationsprozesse in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wieder zu beschleunigen, schlagen wir den Aufbau von spezialisierten "Missionsagenturen" vor. Sie sollen als politische Chefsache direkt beim Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Ihre Aufgabe ist es, unabhängig vom politischen Tagesgeschäft zu agieren und ressort- sowie themenfeldübergreifend Innovationsprozesse von großer gesellschaftlicher Relevanz zu initiieren und zu managen. 

Ansprechpartner

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Dr. Daniel Schraad-Tischler
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Dr. Jan C. Breitinger
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Daniel Posch
Project Manager

Dies ist das Fazit einer gemeinsamen Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und uns. Die Studie zeigt, dass eine Reihe von aktuellen Herausforderungen wie etwa die Klimaerwärmung, der demografische Wandel oder die Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen nicht mehr mit den herkömmlichen Instrumenten, Strukturen und Verfahren bewältigt werden können. So sei das politisch-administrative System mit seinen Ressortegoismen und inneren Funktionslogiken kaum in der Lage, themenfeldübergreifend Lösungen zu entwickeln. Gerade die gegenwärtigen Strukturen und Kapazitäten der bundesdeutschen Ministerialverwaltungen sind demnach allenfalls bedingt geeignet, komplexe Systemtransformationen erfolgreich zu initiieren und umzusetzen.

Gleichzeitig würden Innovation und Transformation oft als reine Forschungs- und Innovationspolitik betrachtet. Dabei komme die Mobilisierung von Beteiligten in Wirtschaft, Zivilgesellschaft und anderen relevanten Sektoren zu kurz. Insgesamt falle es daher schwer, zeitnah innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln. Um diesen Missstand zu beheben, schlagen wir daher den Aufbau von agilen "Missionsagenturen" vor.

Missionsagenturen als eigenständiger Akteur und zentraler "Mission Owner"

In vielen innovationsstarken Ländern und auch auf EU-Ebene hat das Konzept der "Missionsorientierung" in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie setzen darauf, Innovationsprozesse auf konkret definierte gesellschaftliche Ziele – sogenannte Missionen – auszurichten. Diesem Verständnis folgend, sollen sich die hier vorgeschlagenen Missionsagenturen gezielt der Umsetzung von Missionen widmen, die für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft essenziell sind. Dabei übernehmen sie die strategische Verantwortung und praktische Steuerung von politisch definierten Missionen, die häufig quer zu etablierten Politikfeldern liegen.

Um der Institution die notwendigen Steuerungs- und Umsetzungsfähigkeiten zu verleihen, sollen diese themenspezifischen Missionsagenturen als eigenständiger Akteur im Zuständigkeitsbereich des Bundeskanzleramts angesiedelt werden. Sie sollen als zentraler "Mission Owner" und "Change Agent" mit der Verantwortlichkeit für eine bestimmte Mission agieren. Laut der Studie wird dies die hohe politische Priorität der Mission unterstreichen und die Bearbeitung der Zuständigkeitskonkurrenz entziehen. Voraussetzungen hierfür seien eine ausreichende Budgetausstattung sowie hinreichende Handlungsmöglichkeiten für zentrale Bereiche der jeweiligen Mission.

Die Auswahl der Themen und Missionen müsse dabei einerseits demokratisch legitimiert und rechtlich verankert sein, andererseits solle sie durch Vereinbarungen auf höchster politischer Ebene wie in Koalitionsverträgen gesichert und durchsetzungsfähig gestaltet werden. Nur so könnten die Aufträge die notwendige politische Priorität erlangen und der Ressortkonkurrenz der Ministerien entzogen werden. Dies sei eine wichtige Voraussetzung, um der Missionsagentur die nötige Handlungsfreiheit zu verleihen (s. auch untenstehende Abbildungen).

Die Rolle einer Missionsagentur muss über die eines bloßen Koordinators hinausgehen. Vielmehr muss sie auch über Fachexpertise, Prozesskompetenz, optimale Vernetzungsmöglichkeiten und das klare politische Mandat verfügen.

Dr. Jan Breitinger, Innovationsexperte der Bertelsmann Stiftung

Wir schlagen vor, die Agentur zunächst für eine Mission als Piloten zu realisieren. Anhand der gesammelten Erfahrungen könne das Modell dann verbessert und auf andere Themenfelder ausgeweitet werden. Ein Beispiel für eine geeignete Mission wäre die Verwirklichung einer durchgängigen Kreislaufwirtschaft. Hier könne eine Missionsagentur zunächst auf die Etablierung konkreter und überprüfbarer Ziele und Standards hinwirken. Weiterhin sollte sie eine bessere Koordinierung zwischen allen notwendigen politischen Ebenen – von der EU bis zu den Bundesländern – befördern. In ihrer Rolle als "Strategieführer" wäre die Missionsagentur zudem für die Entwicklung eines geeigneten Instrumentenmixes mitverantwortlich. Denkbar seien hier Veränderungen im Abfallmanagement, Regulierungen in industriellen Produktionsprozessen oder Forschungsaufträge im Bereich wiederverwertbarer Grundstoffe. Alle Schritte sollten unter Beteiligung der relevanten Stakeholder aus Forschung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft sowie Politik erfolgen, wobei die Stärkung von Innovationsökosystemen von großer Bedeutung wäre. Außerdem wacht die Agentur über die Erreichung der Ziele und legt Rechenschaft über den erzielten Fortschritt bei der Umsetzung vor.

Erneuerung der Organisationsstruktur für Deutschland

Jan Breitinger, unser Innovationsexperte, sieht in dem Vorschlag einen wichtigen Schritt zur konsequenten Erneuerung der deutschen Innovationslandschaft, wie sie sich in anderen erfolgreichen Innovationsstaaten bereits bewährt hat. "Renommierte Institutionen wie die OECD oder die Expertenkommission Forschung und Innovation haben in den vergangenen Jahren immer wieder die Defizite der deutschen Innovationspolitik aufgezeigt." Zwar habe die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vielversprechende Ideen formuliert und auch den Ansatz der Missionsorientierung aufgegriffen. "Allerdings mangelt es bislang an den geeigneten Werkzeugen und Institutionen für die Umsetzung einer Innovationspolitik, die sich wirklich an gesellschaftlichen Zielen orientiert. Die von uns vorgeschlagene Lösung der Missionsagenturen füllt eine entscheidende Lücke. Sie zeigt, wie wir die überfällige Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft zielgerichtet forcieren können."

Die Verpflichtung gegenüber dem Missionsziel und die Entfaltung einer politischen Bindungswirkung soll durch einen jährlichen Fortschrittsbericht gestärkt werden, der regelmäßig als Chefsache im Kabinett behandelt werden muss.

Dr. Jan Breitinger, Innovationsexperte der Bertelsmann Stiftung

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