Das Parlamentsgebäude in Ulan Bator, Mongolei

Die Mongolei: Ein sozialpolitisches Vorzeigeland?

Vom 9. bis zum 14. August findet in Montreal das Weltsozialforum statt - das größte Treffen zivilgesellschaftlicher Gruppen und Bewegungen weltweit. Aus diesem Anlass wollen wir einen unbekannten Vorreiter einer ambitionierten Sozialpolitik näher betrachten: die Mongolei. Sie nutzt ihren Reichtum an Bodenschätzen, um den sozialen Schutz der Bevölkerung auszubauen, und ist zu einem der führenden Sozialstaaten unter den Schwellen- und Entwicklungsländern geworden.

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Text von Justine Doody. Sie hat sich auf außenpolitische Themen spezialisiert und schreibt für die SGI News und den BTI Blogder Bertelsmann Stiftung.

Bei den Parlamentswahlen am 29. Juni 2016 stellten die Mongolen ihrer bisherigen Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus und wählten mit einer Mehrheit von 85 Prozent die Mongolische Volkspartei (MPP). Vier Jahre wirtschaftlichen Niedergangs sind der Grund dafür, dass die Mongolen der Demokratischen Partei (DP) ihr Vertrauen entzogen. Die DP, die 2012 zu Beginn des Wachstumseinbruches die Regierung übernahm, wird für die schlimmsten Auswirkungen der Krise verantwortlich gemacht. Sie büßte 28 ihrer 37 Sitze im Parlament ein. Auch der Premierminister Chimed Saikhanbileg verlor sein Amt.

Doch trotz der Wahlschlappe der DP und des vorausgegangenen wirtschaftlichen Chaos machten Demokratie und Sozialpolitik in der Mongolei in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich Fortschritte – zwar bleibt immer noch einiges zu tun, doch die kleine Nation zählt weiterhin zu den wenigen demokratischen Sozialstaaten in einer Region, die von Autokratie und politischen Umbrüchen geprägt ist.

Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) 2016 hebt die Mongolei als eines der wenigen Länder hervor, in denen „die soziale Ungerechtigkeit im Verlauf der vergangenen zehn Jahre deutlich abgenommen hat“. Von 2010 bis 2012 erlebte die Mongolei einen wirtschaftlichen Aufschwung. Ermöglicht wurde er durch die reichen Rohstoffvorkommen des Landes, die ausländische Investoren anzogen – 2012 bezifferte der Internationale Währungsfonds das Wirtschaftswachstum der Mongolei auf 17,5 Prozent.

In der Öffentlichkeit herrscht weitgehend Konsens darüber, dass der Rohstoffreichtum des Landes der Bevölkerung zugutekommen sollte. Eine Reihe von Regierungen hat versucht, dies zu gewährleisten: Im Jahr 2009 schuf die von der MPP geführte Regierung den „Human Development Fund“. Aus diesem Fonds erhielt jeder Bürger monatlich einen Geldbetrag. Im Jahr 2012 trat das „Child Money Program“ an die Stelle des Fonds. Im Rahmen dieses Programmes wird bis heute für jedes Kind im Land monatlich eine bestimmte Summe ausgezahlt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass es der Mongolei besser als den meisten vergleichbaren Volkswirtschaften gelingt, für sozialen Schutz zu sorgen. Nach Angaben derWeltbank gab die Mongolei 2013 2,78 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Sozialleistungen in Form von direkten Transferzahlungen an die Bürger aus. Die durchschnittliche Quote in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern beträgt dagegen 1,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Die Mongolei verringerte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erfolgreich die Armut

Der Rückgang der Weltmarktpreise für Kupfer und Kohle traf die mongolische Volkswirtschaft hart. 2013 wurden 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 70 Prozent des Steueraufkommens im Bergbau erwirtschaftet. Weil die Mongolei als Rohstoffexporteur extrem abhängig vom chinesischen Markt ist, verursachte die Verlangsamung des chinesischen Wachstums Probleme. Der Kurs der Demokratischen Partei im Umgang mit internationalen Bergbauunternehmen hatte das Ziel, den Bergbaugesellschaften einen fairen Beitrag zum Gemeinwohl abzufordern wie von der öffentlichen Meinung gewünscht. Der Regierungskurs war jedoch unberechenbar und daher kontraproduktiv.

Zum Beispiel beschränkte ein im Mai 2012 verabschiedetes Gesetz ausländisches Eigentum im Bergbau und in einigen anderen Wirtschaftssektoren. Daraufhin brachen im ersten Halbjahr 2013 die Investitionen ausländischer Kapitalgeber um 43 Prozentein. Das Gesetz wurde zurückgenommen. Ein Streit mit der multinationalen Bergbaugesellschaft Rio Tinto über die Kupfer- und Goldmine von Oyu Tolgoi führte dazu, dass die versprochene Erweiterung der Mine ausgesetzt wurde – obwohl Rio Tinto im Mai 5,3 Milliarden Dollar für den Ausbau zugesagt hatte. Da die Erlöse aus vielen Bergbauprojekten mit internationalen Partnern noch ausstehen, deckte die Regierung Defizite durch eine hohe Neuverschuldung. Die Staatsschulden stiegen dadurch stark an. 2015 hatte sich das Wirtschaftswachstum in der Mongolei auf 2,3 Prozent verlangsamt, und für 2016 sagt der Internationale Währungsfonds nur noch ein Wachstum von 0,4 Prozent voraus.

Die Verlangsamung des Wachstums führte zu einer hohen Inflation und zu steigenden Lebensmittelpreisen, unter denen besonders die arme Bevölkerung und die Mittelschicht leiden. Nicht nur der Staat sondern auch die privaten Haushalte haben sich stärker verschuldet. Trotz all dieser ökonomischen Schwierigkeiten ist es der Mongolei aber gelungen, die Armut zu verringern: Der Anteil derjenigen, die unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben, ist von 38,8 Prozent im Jahr 2010 auf 21,6 Prozent im Jahr 2014 gesunken.

Von der neuen, MPP-geführten Regierung erhofft sich die Öffentlichkeit Maßnahmen für eine wirtschaftliche Erholung. Die globalen Märkte scheinen der neu gewählten Regierung eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zuzutrauen, denn der Wert mongolischer Staatsanleihen stieg nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses steil an. Da die Regierung jedoch eine restriktivere Haushaltspolitik versprochen hat, bleibt abzuwarten, ob sie die dringend benötigten Mittel für sozialstaatliche Programme im bisherigen Umfang zur Verfügung stellen wird. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Staatsverschuldung zu reduzieren und das Haushaltsdefizit zu senken.

Das Vertrauen in politische Parteien sinkt

Die Wahlbeteiligung lag im Juni 2016 bei mehr als 75 Prozent, also deutlich über den 65 Prozent des Jahres 2012. Dieser Anstieg lässt vermuten, dass sich die Demokratie in der Mongolei weiterhin gut entwickelt. Wie der BTI-Länderbericht feststellt, fehlten in der Mongolei bei der Einführung der Demokratie im Jahr 1990 „die meisten Voraussetzungen, die Politikwissenschaftler gemeinhin als notwendig für einen erfolgreichen Übergang zur Demokratie erachten“. Umso beeindruckender ist es, dass die Mongolei ihre Demokratie seither in guten und in schlechten Zeiten bewahren konnte.

Jüngste Umfragen brachten jedoch einige besorgniserregende Ergebnisse, was den Zustand der Demokratie in der Mongolei betrifft: Trotz des fulminanten Siegs der MPP im Juni waren bei einer Erhebung im März 2016 76,8 Prozent der Befragten nicht der Ansicht, dass die politischen Parteien die Meinung der Menschen im Land vertreten. Der Erdrutschsieg von 85 Prozent deutet sicherlich darauf hin, dass die MPP, in deren Regierungsperiode von 2008 bis 2012 sich die Wirtschaft stabil entwickelte, der Bevölkerung als das geringere von zwei Übeln erscheint. Das Ausmaß des Sieges lässt sich jedoch zum Teil dadurch erklären, dass durch umstrittene Änderungen am Wahlsystem im April ein Mehrheitswahlrecht eingeführt wurde, sodass es für die etablierten Parteien nun einfacher ist, deutliche Mehrheiten zu erzielen.

Durch den klaren Sieg ist jedoch gewährleistet, dass die MPP in den kommenden vier Jahren eine stabile Regierung stellen kann. Wenn es ihr außerdem gelingt, erneut einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Mongolei herbeizuführen, ohne die Fortschritte beim Ausbau des Sozialstaates rückgängig zu machen, könnte dies wesentlich dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik wiederherzustellen.