Ordnung im Datendschungel

Mehr Teilhabe, größere Transparenz, Spaß im Alltag, praktische  Problemlösungen, kritischere Bürger. Eine Gruppe junger Entwickler nutzt  das Hamburger Transparenzgesetz als Basis für spannende Ideen.

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Text von Tanja Breukelchen für change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung. Beitrag aus change 4/2014.

Die Welt ist voller Daten: Umweltdaten, geographische Daten, Wetterdaten, Karten und Satellitenaufnahmen, Gesetze, Statistiken, Verordnungen … Jedes Amt, jedes Gericht, jede Behörde, jede wissenschaftliche Einrichtung ist voll davon. Doch Zugang zu dieser riesigen Faktenflut haben meistens nur die, die direkt damit arbeiten. Oder die, die gezielt danach fragen. Dabei wäre es doch großartig, wenn man alle diese Zahlen und Informationen jederzeit griffbereit und auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten aufbereitet hätte: Wo gibt es die nächste Kita, wie sehen da die Anmeldezahlen, Räumlichkeiten und Angebote aus? Wo gibt es günstigen Wohnraum – und wie steht es genau in diesem Gebiet mit der Verkehrsanbindung zum eigenen Arbeitsplatz, mit Fluglärm und Luftverschmutzung? Die schöne alte Buche vor dem Haus – wie alt ist sie, wer hat sie gepflanzt?  

Mitten im Alltag setzt das Konzept der „Open Data“ an, zu Deutsch: offene Daten. Denn Daten sind nur dann wirklich offen, wenn sie durch jedermann und für jeglichen Zweck genutzt, weiterverarbeitet und weiterbetrieben werden können. Bei der Öffnung von Behörden-Daten ist man schnell beim „Open Government“, also der generellen Öffnung von Regierung und Verwaltung für die Bürger, um mehr Transparenz, mehr Teilhabe und Zusammenarbeit zu schaffen. Kurz: mehr Demokratie. Damit genau das passiert, erkämpfte sich in Hamburg der Verein „Mehr Demokratie“ durch eine Volksinitiative das Transparenzgesetz, das in der Hansestadt im Oktober 2012 in Kraft trat. Von dem Zeitpunkt an hatte die Verwaltung zwei Jahre Zeit, die Daten bereitzustellen.  

Unter www.transparenz.hamburg.de stehen die Informationen jetzt im Netz. Für den Laien eine unglaubliche Flut an Informationen. Für eine Gruppe junger Entwickler, die sich regelmäßig in den Büroräumen von Daten-journalist Marco Maas (37) treffen, die perfekte Arbeitsgrundlage. „Wir sind insgesamt fast 30 Leute, darunter Städteplaner, Journalisten, Grafikdesigner, Geografen, Controller, sogar eine Raketenwissenschaftlerin ist mit dabei“, erzählt Maas, Geschäftsführer von „OpenDataCity“, einer Agentur für Datenjournalismus und Datenvisualisierungen. „Ich bin so eine Art Außenminister, habe also keine Spezialdisziplin.“ Maas arbeitet seit 1999 als selbstständiger Journalist in Hamburg, war an der Entwicklung des mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten  ZDF-Parlameters beteiligt. Er gehört zu denen, die das „OK Lab Hamburg“ organisieren, wobei „OK“ für die „Open Knowledge Foundation“ steht, die den freien Zugang zu Wissen fordert, fördert und erleichtert. Eines ihrer Programme ist „Code for Germany“ mit „OK Labs“ in mehreren Städten.

 

"Ich wollte nutzerorientierter arbeiten"

Stefanie Weber, Grafikerin

Stephanie Weber (30), die mehrere Jahre in Lateinamerika verbracht hat und heute mit ihrem Mann, einem Kolumbianer, in Hamburg lebt, will durch ihre Anwendungen etwas bewegen. „Früher habe ich als Art Directorin gearbeitet, habe Werbekampagnen gemacht und Designs für Print- und Digitalmedien entwickelt, aber mit der Zeit wurde es für mich immer wichtiger, nutzerorientiert und sinnvoll zu arbeiten.“ Heute leitet sie das Team „User Experience Design“ bei Immonet – und ist in ihrer Freizeit beim „OK Lab“ aktiv. Gemeinsam mit Aurelius Wendelken (28) und anderen entwickelt sie einen Kindergarten-Finder und einen Spielplatz-Finder. Apps, die Daten bündeln, Nutzern die Suche erleichtern, aber auch Missstände aufdecken: „Man glaubt gar nicht, wie ungerecht die Spielplätze in Hamburg verteilt sind“, sagt Stephanie. „In den ohnehin besten Gegenden sind auch die tollsten Spielplätze.“ Und was die Kitas betrifft: „Da sind wirklich viele Daten vorhanden, aber wenn junge Eltern nach der richtigen Einrichtung suchen, gestaltet sich die Suche auf der offiziellen Seite der Stadt doch ziemlich aufwendig. Noch muss man sich alles einzeln zusammensuchen. Das soll unsere WebApp verändern.“  

Aurelius ist beim „OK Lab“ ein richtiger Quereinsteiger und twittert unter  @opendatacoder. „Ich bin sieben Jahre lang als Schiffsmechaniker zur See gefahren, unter anderem auf einem Hochsee-Notfallschlepper. Ich hab mir in der Zeit das Programmieren beigebracht und ein Tool für Ladung entwickelt, denn jedes Kilo ist ja bares Geld. Heute bin ich ehrenamtlich in der Start-up-Szene unterwegs und programmiere frühe Prototypen.“

Ganz Hamburg in Echtzeit

Gemeinsam kleben Stephanie und Aurelius Post-its an eine Pinnwand neben dem großen Konferenztisch. Unter „to do“ stehen „Klima in Hamburg“ und „Straßen- und Landnutzung“, unter „Work in Progress“ stehen „Spielplatzwüsten“, „Kindertagesstätten“ und „Zuwendung der Hamburger Behörden“, und unter „done“ stehen „Länderfinanzausgleich“, „Hamburg in Echtzeit“, „Hamburger Brücken“ und „Straßenbaumkataster“. Letzteres ist Achim Tacks (33) „Baby“ – „wobei ich eigentlich gar keinen engen Bezug zu Bäumen habe“, lacht er, „aber die Datenlage war einfach interessant.“ Denn im Straßenbaumkataster der Stadt Hamburg sind rund 240.000 Straßenbäume mit Standort und Attributen wie Pflanzjahr und Baumart erfasst. Achim, von Haus aus Stadtplaner, bereitet all das auf einer Hamburg-Karte auf und arbeitet am „Straßenbaumexplorer“.

"Bürger sollen nicht nur informiert, sondern auch beteiligt werden"

Timo Lundelius, Politologe

Ähnliche Projekte gibt es zu Brücken, von denen Hamburg rund 2.500 besitzt. Oder zu Baustellen, die Timo Lundelius (29) im Blick hat: „Wenn ich durch Hamburg fahre, sehe ich zahlreiche Baustellen, habe aber gar nicht die Zeit, alle Fakten dazu im Netz zu recherchieren. Planfeststellungsverfahren, Infos über Dauer und darüber, was wann genau gemacht wird“, erklärt er. Über eine Anwendung, die der Politologe gerade baut, sollen die Nutzer alle Eckdaten sofort griffbereit haben. „Dadurch sollen sie aber nicht nur informiert, sondern auch beteiligt werden, indem sie früh genug die Möglichkeit haben, sich zu äußern: Wollen sie das überhaupt? Muss man nicht verhindern, dass womöglich eine Straße gebaut und in einem halben Jahr wieder neu aufgerissen wird, weil man womöglich den Radweg vergessen hat? All das passiert, und gerade bei kleinen Bauprojekten gehen die Informationen für die Öffentlichkeit schnell unter.“ Und genau da setzt auch die Idee von Phi-lipp Geisler (41) an, der alle Daten zum Thema Barrierefreiheit zusammenstellt: „Mit so einer Anwendung können Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Kinderwagen unterwegs rasch prüfen, welche Bahnhöfe, öffentliche Gebäude oder Restaurants problemlos zugänglich sind.“  

Alle Anwendungen und Ideen finden sich auf der Seite von „Code for Germany“ und dem „OK Lab“ Hamburg. Marco Maas ist in der „Open Data“-Szene unterwegs wie kaum ein anderer: „Irgendwann wird das alles eine enorme Schlagkraft entwickeln“, sagt er. Das „OK Lab“ sei noch eine ehrenamtliche Geschichte, was sich aber schon bald ändern könne. Das denkt auch Julia Kloiber, die bei der Open Knowledge Foundation Projektleiterin ist für Projekte im Bereich Civic Apps and Open Data: „Auf jeden Fall wird man damit Geld verdienen können! Man wird zur Plattform, an die andere andocken können. Das ist für Start-ups super interessant. Das sieht man jetzt schon im Ausland. Sobald eine Anwendung Nutzer hat, braucht es auch relativ schnell ein Business-Modell dahinter.“

OK Labs in ganz Deutschland

Noch stehe alles auf Anfang. Beim „Open Data Day“ am 22. Februar 2014 sind in acht Städten so genannte Hacker Fonds gegründet worden, fünf weitere kamen in den letzten Monaten dazu. „Das sind Communitys, die in den Städten Daten nutzen, in Verbindung mit lokaler Politik und lokaler Verwaltung stehen und nützliche Anwendungen für die Bürger bauen. Dadurch wird erst einmal deutlich, warum öffentliche Daten überhaupt Sinn machen und wofür sie nützlich sein können. All das sind Argumente für die weitere Öffnung von Daten.“ Hamburg sei in der guten Situation, im Gegensatz zu anderen Städten ein Transparenzgesetz zu haben. Aber auch andere „OK Labs“ seien sehr aktiv: „In Berlin gab es eine 3-D-Visualisierung zum Tempelhofer Feld in Kooperation mit der Berliner Morgenpost. Da war es spannend zu sehen, wie Labs mit der lokalen Presse zusammenarbeiten. Auch in Heilbronn war das so. Da hat das Lab mit der Heilbronner Stimme gemeinsam eine App zu Trinkwasserqualität gemacht. Und in Ulm ist das Lab mit dem Bürgermeister vernetzt. Also ein direkter Draht, sollten bestimmte Daten nicht vorliegen.“  

Anwendungen, die in den größeren Städten entstehen, ließen sich eins zu eins auch in den kleinen Städten umsetzen. Das gehe noch viel weiter, erklärt Julia Kloiber: „Man kann Anwendungen, die in den USA oder Mexiko entwickelt wurden, für den eigenen Kontext übernehmen. Der spannendste Ansatzpunkt für sie ist eigentlich die Frage: Wie können Bürger besser an Entscheidungen ihrer Stadt teilhaben? Irgendwann werden Informationen überall verfügbar sein, ohne dass man sich für alles eine App downloaden muss.“ Ein Zukunftsszenario, das schneller Realität sein kann, als viele denken: „Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, könnte mir mein Navigationssystem zum Beispiel sagen, dass ich auf einen Unfallschwerpunkt zufahre, da auch die Daten der Polizei mit eingespeist werden. Denn durch die Tatsache, dass Daten offen sind und sie jeder nutzen kann, werden sie automatisch in alle Anwendungen und Informationssysteme einfließen.“   Für Marco Maas könnte das schon bald an der eigenen Haustüre beginnen: „Ich denke gerade über eine Anwendung nach, die als mobiler Fahrplan direkt an meiner Haustüre hängt, so dass ich morgens alle für mich relevanten Busse und Bahnen in Echtzeit habe und direkt weiß, ob ich noch genug Zeit für einen Kaffee habe.“