Pressemitteilung, , Gütersloh: Europakritik wird schick!

Hohe Wahlenthaltung beflügelt vor allem Anti-Europäer, Nationalisten und Populisten

  • PDF

Seit den erfolgreichen Referenden gegen die EU-Verfassung in den Niederlanden, Frankreich und Irland bekommt eine neue politische Strömung über ihre nationalen Grenzen hinaus politische Konjunktur: Die Anti-Europäer. In ihr formieren sich klassische Europakritiker, Nationalisten und bisherige Ein-Themen-Protestparteien unter einem neuen Konsens. Ihr prominentestes Schlachtschiff ist die paneuropäische Libertas, die erfolgreiche Anführerin des irischen Referendums unter der Leitung des Multimillionärs Declan Ganley. Ihm ist es gelungen,  Europakritik aus der zumeist rechten, nationalistischen Schmuddelecke zu holen, sie gesellschaftsfähig zu machen und eine Druckkulisse für konservative Parteien aufzubauen. Gleichzeitig gelang es ihm, sich weit über Irlands Grenzen zu inszenieren, indem er sich im Schulterschluss mit anderen prominenten, aber bislang nicht des Extremismus verdächtigen Politikern präsentierte, unter ihnen etwa Tschechiens Präsident Vaclav Klaus oder die Solidarnosc-Ikone Lech Walesa. Beim Europawahlauftakt in Frankfurt am Main war Ex-"Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman Stargast, die Registrierung der Partei zur Wahl scheiterte lediglich an der zu kurzfristigen Organisation.

Das aktuelle Kalkül ist es, zu den Europawahlen bei einer allgemein relativ niedrigen Wahlbeteiligung und gleichzeitiger starker Mobilisierung der eigenen Klientel - bereichert um Protestwähler- ein gutes Ergebnis zu erzielen. Dieses Kalkül würde bei Europawahlen nicht zum ersten Mal aufgehen. Die Front National in Frankreich hat es bei vergangenen Wahlen vorgemacht. Ebenso etwa die Liga der polnischen Familien, die 2004 nach dem gleichen Rezept das zweitbeste Ergebnis in Polen erzielte.

Gegenüber früheren Wahlen hat die antieuropäische Untergrundströmung aber eine neue Qualität gewonnen.  Einerseits sind paneuropäische Bewegungen wie die Libertas Partei des irischen Multimillionärs Declan Ganleys entstanden. Sie wird mit 600 Kandidaten in 12 der 27 EU-Länder antreten. Andererseits wird in verschiedenen Ländern, beispielsweise in Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und auch Ungarn, ein virulent rechts-populistischer Wahlkampf geführt. 

Von Europa redet in Großbritannien niemand, dafür aber davon, dass unter allen Umständen die British National Party gestoppt werden muss, die unter Einfluss des Spesenskandals im Unterhaus kräftig in den Umfragen gewinnt. Die neofaschistische BNP würde mit sieben bis zehn Prozent ebenfalls erstmals der Sprung nach Straßburg gelingen. Gefahr droht den "Europäern" und insbesondere Gordon Brown auch von der europakritischen Partei UKIP – sie verdreifachte in Umfragen ihre Anhängerschaft und zieht mit 19 Prozent an Labour und den britischen Liberalen vorbei. Die Ursprünge der UK Independence Party liegen in einem Familienstreit der Konservativen über den Vertrag von Maastricht Anfang der neunziger Jahre. Vorsitzender Nigel Farage bezeichnete den Vertrag von Lissabon im Europaparlament als “Lügenwerk” und lobte die Iren öffentlich für ihr “Nein.”

In Österreich schreckt FPÖ-Chef Stracher auch nicht davor zurück mit einem Holzkreuz in der Hand aufs Rednerpult zu steigen und dermaßen gegen Muslime zu hetzen, dass der Wiener Kardinal Christoph Schönborn ihm in seiner Sonntagspredigt im Stephans Dom widersprach. Umfragen zeigen aber, dass „Abendland ist Christenland“ gut bei den Wählern ankommt. Die FPÖ dürfte am kommenden Sonntag ungefähr um die 17% der Wähler für sich gewinnen.

In Ungarn schickt die rechtsextreme Partei Jobbik eine attraktive Frau mit aggressiver Wahlrhetorik ins Rennen. „Jobbik startete als wüstes Bündnis wüster Leute“, charakterisiert der unabhängige ungarische Pester Lloyd  die junge Partei. „Sie konnte sich aber in den letzten Jahren unter Führung des sehr motiviert dreinschauenden Gábor Vona straffer organisieren und verfügt mittlerweile über eine landesweit funktionierende Parteistruktur. Als Spitzenkandidatin hat man Rechtsanwältin Krisztina Morvai, eine "Menschenrechtsexpertin" aufgebaut, die es, als blonde, gestylte Businessmami ganz gut schafft, von vielen Dumpfbacken in den eng geschlossenen Reihen abzulenken.“  Das „Zigeunerbrutprogramm“ der Regierung möchte sie stoppen und Journalisten Interviews nur noch gegen 1000 Euro Pfand geben. Ist die Berichterstattung genehm, bekämen sie sie zurück, sonst würden sie einbehalten. Joobik hat beste Chancen zur drittstärksten politischen Kraft in Ungarn zu werden.

Und auch in den Niederlanden bekommt der eloquente Geert Wilders von der Partij voor de Vrijhrid viel Zustimmung für seine Parolen „Mehr Niederlande, weniger Brüssel“ und gegen „die Islamisierung Europas“.  Die Türkei dürfe "niemals" in die EU, "korrupte Staaten" wie Bulgarien und Rumänien müssten sie verlassen. Schätzungen sagen ihr fünf der 25 niederländischen Sitze im Europaparlament voraus. Damit könnte die Partei von Wilders zu einer gefragten Bündnispartnerin einer möglichen Neuauflage der xenophoben Fraktion "Identität, Tradition, Souveranität" in Straßburg und Brüssel werden. Für Geert Wilders aber ist die Europawahl nur ein nützlicher Testlauf. Sein Ziel ist die Parlamentswahl in den Niederlanden im kommenden Jahr. Hier sehen Demoskopen die Partij voor de Vrijhrid schon als stärkste Partei.

Rechtspopulisten und Nationalisten wie BNP, FPÖ, Jobbik oder Freiheitspartei hatten selten so gute Chancen ins Europäische Parlament einzuziehen. Und auch linke Europakritiker bekommen vor allem in Deutschland und Frankreich gute Prognosen. Die Nouveau Parti Anticapitaliste um den jungen und begabten Trotzkisten Olivier Besancenot macht die französischen Sozialisten so nervös wie die Linkspartei die SPD.

Im aktuellen „spotlight europe“ mit dem Titel "Europakritik wird schick", verdeutlichen die Autorinnen Isabell Hoffmann und Franziska Brantner von der Bertelsmann Stiftung, wie in der Europadebatte die etablierten Parteien vom rechten und linken Rand unter Druck gesetzt werden. Denn inzwischen schwappt gängige Europakritik von EU-Skeptikern auch bereits in die Mitte. Gerade die arrivierten Parteien und Integrationsbefürworter hätten jahrelang versucht die Vorzüge der Integration anzupreisen. Auf Fundamentalkritik an der EU wurde mit Fundamentalverteidigung reagiert. Doch um dem Europadiskurs seine Glaubwürdigkeit zurückzugeben und Populisten den Boden zu entziehen, müssen die Widersprüche europapolitischer Maßnahmen anerkannt und politisch ausgefochten werden. Subsidiarität, meinen die Autorinnen, ist dabei ein wichtiges Prinzip, sie sich nicht in einer Debatte um Zuständigkeiten erschöpft.